Sonntag, 1. Januar 2012

Das Haus erkunden

Charlotte und meine Wenigkeit waren bereits zu früher Abendstunde den Spirituosen zugeneigt, sahen uns zum dreizehntausendsten Mal "Dinner for one" im Affenkasten an und kochten Weinsud mit allerlei Gewürzen auf.
Dann machten wir uns auf den Weg zur Villa Sch., frohen Mutes und leichten Herzens.
Jemand hatte bereits die ganze Treppe mit Kerzen beleuchtet! Also würden Schalotte, mein knuspriges Abenteuermädel und ich an diesem Abend wohl nicht alleine bleiben, mit den vier Litern Traubensud.
Es sassen schon einige junge Menschen vor der Haustüre und begrüssten uns warm. Dann gingen wir hinein. Ich, J.W. Goethe, hatte Glühbirnen im Gepäck und suchte nach Lampen, die nach Befüllung lechzten.
So wurde es denn von Zimmer zu Zimmer heller, aahs und ooohs erschallten durch die Räume, wenn wieder jemand etwas Gewichtiges oder Mitteilungswürdiges, wie beispielsweise ein Fotoalbum oder ein sonderliches medizinisches Gerät entdeckte. Beispielsweise hatte ich keine Ahnung, dass Lebensmittel nach neun Jahren im Kühlschrank noch immer fürchterlich stinken können. Raum um Raum wurde geöffnet, ein junger Geck spielte dazu das in der Stube befindliche Klavier, und ich machte mich aufgeregt über eine Schublade von Briefen und Dokumenten her. Was gab es da alles zu bestaunen! Wunderbare Antiquitäten, Uhren, alte Gemälde, Geschirr, eine Feuerzangenbowle, aber auch viel Müll, zerknüllte Kleider, die Bettstatt von zwei früheren, heimlichen Bewohnern, welche vermutlich durch unser Tun der letzten Tage verschreckt worden waren und reissaus genommen hatten.
Immer wieder blickten neue Gesichter in die Räume, neugierig, aufgeregt und strahlend.
Im Keller fand man Weine und fragte sich, ob die wohl noch geniessbar seien, einer las den Ölstand im Heizraum ab, andere machten sich in den oberen Räumen zu schaffen und mutmassten darüber, was wohl mit der Herrin des Hauses und ihrem Sohn passiert sei. Man wurde den Eindruck nicht los, dass man da Zeuge eines Krimis, einer Verschwörungsgeschichte oder wenigstens eines Dramas wurde: Die zahlreichen Briefe, handgeschriebenen Notizen und Zettel bildeten ein verstörendes Mosaik. Von Verfolgung und Überwachung war da die Rede.
Keine Polizei schaute vorbei, aber auch kein Nachbar der direkt umliegenden Häuser wurde gesichtet. Auch eine ältere Dame, die ihren Besuch in der Villa angekündigt hatte, blieb leider aus.
Es war ein wunderbarer Silvester, wie ihn meine Gespielin Charlotte und ich, der Dichter und Denker, unser Leben lang nicht vergessen werden. Der Bilder satt und trunken wankten wir heim, und schliefen wohlig ein.

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